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KMD Prof. Oskar Gottlieb Blarr

„Über die Würde und Schönheit der Orgel“
– Sauer Orgelbau einst und jetzt –

Festrede anlässlich der Feier
150 Jahre Wilhelm Sauer Orgelbau Frankfurt (Oder)
am 06. Oktober 2007 in der Philharmonie.

Wortlaut der Rede:


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Festrede von KMD Prof. Oskar Gottlieb Blarr, 06.10.07

Nach der Vorschrift des römischen Rhetors Marcus Fabius Quintillianus soll eine Rede drei Dinge bewirken:

  • sie soll  den Hörer bewegen  (= „movere“)
  • ihn belehren     (= „docere“)
  • und 3. ihn erfreuen    (= „delectare“)

Dieser Vorschrift folgend möchte ich über drei Dinge sprechen:

  • Erstens über die Freunde der Orgel        (= „movere“)
  • dann über die Feinde der Orgel        (= „docere“)
  • schließlich über die Würde und Schönheit der Orgel     (= „delectare“)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister.
Lieber Meister Fräßdorf
und verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Sauer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sehr verehrter Herr Pfarrer Labitzke.
Meine Damen und Herren dieser festlichen Versammlung.

I. Über die Freunde der Orgel.

Der Firmengründer Wilhelm Sauer
wählte als Motto seines Lebens und Arbeitens den Vierzeiler:

Sauer Motto

Damit gab er sich als Freund der Orgel zu erkennen und zu gleich als gläubiger Mensch.
Das war nicht selbstverständlich, denn Wilhelm Sauer begann seinen Aufstieg in der Zeit der industriellen Revolution. Seine Zeitgenossen waren alle die Borsig, Stinnes, Thyssen, Haniel, Mannesmann und Krupp. Und keiner von denen wäre auf die Idee gekommen als Motto zu wählen:

Wir loben Gott
und lassen Ihn walten,
bauen neue Kanonen
und reparieren die alten.

Das Lob Gottes als Endzweck des Lebens und Arbeitens zu begreifen, war Lutherische Tradition, und gründete auf der theologische Lehre der causa finalis.
Gott walten zu lassen entstammt übrigens dem hier zu Lande gebräuchlichen Lied „Wer nur den Lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit“. Wilhelm Sauer lässt also den Lieben Gott nicht einen Guten alten Mann sein, sondern weiß wie das Lied weiter geht:
„Wer Gott dem aller- höchsten traut, der hat auf keinem Sand gebaut“. Wilhelm Sauer hat ein solides Haus gebaut, eine solide Firma, die in Schwindel erregender Zeit zu Weltrum kam, darin den Industriekapitänen des 19. Jahrhunderts vergleichbar. Er baut die neue Orgel, mit neuer Technik, neuen Klängen, die er bei den progressiven Großen seiner Zeit gelernt hatte: bei Walcker in Ludwigsburg und Cavaillé-Coll in Paris. Er respektiert aber auch die Arbeiten der alten Kollegen und weiß, dass deren Werke gepflegt werden müssen und in den alten funktionierenden Stand gebracht, eben repariert.
Es zeichnet alle guten Orgelbauer aus, dass sie nicht nur gute Handwerker sind, sondern auch versessen auf Qualität.
So war es bei den Meistern in Brabant, bei Arp Schnitger, den Silbermännern, um nur an einige der alten Großen zur erinnern; auch der vergleichsweise kleine Meister Engelbert Teschemacher aus Elberfeldt wusste wohl, was er konnte und was er wert war. Darum belehrte er eine kontrollorientierte Gemeinde in Düsseldorf: „ich weiß, dass meine Orgeln hundert Jahre und länger stehen, wenn sie denn gut gehalten werden“. Diese stolzen Meister, allesamt gläubig vor dem großen Chef im Himmel und allesamt voller Verantwortung für die Zukunft, und eben dadurch erfolgreich, Freunde der Orgel.
Und wenn man die kleine Sauer- Orgel, Werk 464 in Missen, einem Dörfchen in der Niederlausitz sieht, staunt man über ihre Akkuratesse und Schönheit. Man spürt: auch dieses kleine Instrument mit nur 7 Stimmen lobt den Meister, und es steht und spielt und funkelt heute noch nach 125 Jahren, mit seinen Emaille- Manubrien, Elfenbeinbelegen und schmuckem Fournier; liebevoll restauriert von Christian Scheffler, dessen Werkstatt ja aus dem Hause Sauer hervorgegangen war.
Die Galerie der großen Orgelbauer, die nicht nur fähige Chefs waren, füllt ein ganzes Pantheon, unmöglich sie alle hier aufzuzählen, die Schlesier Casparini und Engler, den Schwaben Josef Gabler und die Thüringer Trost und Friedrich Ladegast u.s.f. Sie alle: Freunde der Orgel.
Freunde der Orgel sind aber auch die, die kostbare Instrumente vor dem Abriss retteten, so Albert Schweitzer, ohne den das Orgelwunder von 1650 in meiner Heimatstadt Bartenstein (Ostpreußen) und die Englerorgel in Brieg bald nach dem ersten Weltkrieg verschrottet worden wären. Und Christhardt Mahrenholz aus Hannover; ohne ihn wäre die zu neuem Glanz erstandene Hildebrandt- Orgel in der Wenzelskirche in Naumburg nicht mehr restaurabel gewesen.
Freunde der Orgel sind aber auch die Komponisten, die unsterbliche Stücke für die Orgel schrieben z.B. der Niederländer Sweelinck, der Italiener Frescobaldi, der Spanier Juan Cabanilles, der Portugiese Arrauxo, die Deutschen Scheidt, Buxtehude, Bach und Mendelssohn, die alten Franzosen Titelouze und Grigny und alle die großen Romantiker aus Paris (Franck, Guilmant, Widor), und die Vormodernen (Dupre, Tournemiere, Vierne) und Olivier Messiaen, dessen funkelnde Werke bis an die Schwelle des 21. Jahrhunderts reichen.
Von jüngeren Kollegen Gutes zu sagen, fällt ja immer schwer; aber ich möchte wenigstens Petr Eben aus Prag rühmen und den mutigen und hierzulande völlig unbekannten Mikael Tariverdiev aus der Ukraine, meinen deutschen Kollegen Jörg Herchet, den Amerikaner William Albright und Jean Guillou aus Paris, der geistsprühend geblieben ist bis heute. 
Und die Orgelspieler gehören auch zu den Freunden der Orgel; denn ohne sie blieben die besten Orgeln stumm. Einige von ihnen waren beides: Komponisten und Spieler. Andere waren vor allem Interpreten.
Nicht immer sind es die rasanten Virtuosen, die der Orgel Leben einhauchen. Es gab und gibt immer wieder treue Diener der Königin, oder wie Mozart sagte „des Königs“, die als wahre Orgelfreunde auf  unvergessliche Weise sich in unsere Herzen gespielt haben. Vielleicht erinnert sich noch mancher an Helmut Walcha, den blinden Meister, den man als Bach- Spieler kennt. Mir ist auch der kriegsversehrte Max Drischner aus Brieg ein wichtiger Freund und der besessene Gustav Sasse aus Hannover, der jeden Werktag zur Vesperzeit ein volles Konzert spielte.
Nun zurück zu Geschichte des Hauses Sauer.
Dass diese in einer Schmiedewerkstatt begann, hat mich als Schmiedesohn interessiert. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der erste Musiker, vielleicht der erste Orgelbauer
der Bibel:  Juval, der nach 1. Mose 4 aus einer Schmiedefamilie stammte und mit Pfeifen hantierte. In der hebräischen Bibel lautet das so:

                                      we        schem                 achi                Jubal
wörtlich übersetzt:        und       der Name     seines Bruders        Jubal   

                                      hu         haija          awi                      kol-topes  
                                      der        war            Vater jedes    Handhabenden

                                      kinnor                we              ugaw,   
                                      von Harfe            und            Orgel (Flöte)

Dass der (Zitat) „Durchbruch der Sauerei zur Weltfirma“ in Ostpreußen geschah, 1859 in Tilsit, und dass die erste große Sauer Orgel 1862 im Dom in Königsberg gebaut wurde, hat mich als geborenen Ostpreußen besonders berührt.
Meine erste Sauer-Orgel spielte ich 1968 in der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg in Jerusalem. Das Instrument wurde 1910 eingeweiht und steht und atmet und spielt heute noch, und wurde gebaut auf Wunsch der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria.
Seit 1961 lebe ich im Rheinland. Da begegnen Sauer-Orgeln zu Hauff. Einige haben die Zeiten überlebt, z. B. in Rheydt und Wuppertal, andere sind im 2. Weltkrieg untergegangen, so die Instrumente in der Tonhalle zu Düsseldorf, Duisburg und Köln.
Orgelgeschichte hat die Sauer – Orgel, im Dom zu Wesel geschrieben. Der Orgelvirtuose Karl Straube startete dort seine Karriere, die ihn als Thomasorganisten an die Sauer- Orgel nach Leipzig führte und damit den Siegeszug der Werke Max Regers heraufführte. Als Komponist einer Reihe von Orgelstücken finde ich das spannend, wie eine gute Orgel einen hervorragenden Spieler anzieht und beide einen Komponisten herausfordern und inspirieren. Ich betone das deshalb, weil im Idealfall jeder neue Orgeltyp auch eine neue Orgelliteratur braucht. Erst die neuen Orgelkompositionen geben den neuen Instrumenten ihren existenziellen Sinn. Reger und Sigfrid Karg- Elert, Karl Hoyer, Heinrich Kaminski, Heinrich Spitta und etwas später noch der starke Kontrapunktiker Johann Nepomuk David sind die schöpferische Ausbeute dessen, was der Orgelbauer Wilhelm Sauer an neuen Möglichkeiten bereitgestellt hatte.
Als Wilhelm Sauer hoch betagt und hoch geehrt 1910 abtrat, wurde das Werk in Frankfurt/O. in das Imperium Walcker eingegliedert.
Das brauche ich hier nur anzudeuten, denn diese Zeit ist ausführlich durch Hans- Joachim Falkenberg in zwei kostbaren Bänden beschrieben.
Schließlich gehören alle die vielen Tausend und Millionen Hörer hierher als Freunde der Orgel. Menschen, für die die Orgel mehr ist, als nur Klangkulisse, oder „kuhwarmes“ Gedudel, wie es irgendwo bei Arno Schmidt heißt. Was ist dieses mehr? Es ist das, was uns im innersten bewegt, etwas, das uns in eine Zone der Sinnhaftigkeit versetzt, etwas, das uns durchatmen lässt, unsere Herzen erhebt, kurz: ein Lebenselixier. Orgelspieler und Orgelkomponisten brauchen die begeisterte und in vielen Fällen auch kundige Hörergemeinde.
Orgelbauer, Orgelretter, Orgelspieler, Orgelkomponisten und Orgelhörer- fürwahr, wir sind umgeben von einer großen Schar von Freunden der Orgel.
Aus aktuellem Anlass gehört hierher noch als wichtige Nachschrift  ein Blick in schwere Sauer-Zeiten, gewissermaßen: in lausige Zeiten.
Es geht ums nackte Überleben. Das Überleben des Hauses Sauer ist wiederum Freunden der Orgel zu danken. Als die Fabrikationsräume in Frankfurt am Ende des 2. Weltkrieges geplündert waren, um schließlich als Entlausungsanstalt zu dienen, hat Anton Spallek den Neuanfang in die Hand genommen, ihm folgte sein Sohn Gerhard Spallek. Sauer wurde wieder eine leistungsstarke Werkstatt. Eigentlich schade, dass es damals noch keine Bildzeitung gab. Denn die hätte knackig titeln können: „Entlausungsanstalt wurde Weltfirma- sie baut jetzt in Nowosibirsk, Jaroslawl und in Polen“.
Nach der Wende ging am 7.09.1990 die Firma Sauer VEB in das Eigentum von Dr. Werner Walcker – Mayer zurück. Aber welch ein Schreck: 1999 meldete der westliche Riese auf tönernen Füßen-
Das Haus Walcker- Insolvenz. Das Werk Sauer, obwohl schwarze Zahlen schreibend, wurde Konkursmasse. Der Insolvenz -Verwalter Rechtsanwalt Feser aus Berlin traute dem beherzten Kleeblatt Peter Fräßdorf, Peter Dohne, Michael Schulz und Ulrich Büttner im Jahr 2000 die Neugründung zu.
Die Herren standen jeder für 100.000 Deutsche Mark gerade- nicht eben wenig – gründeten die GmbH und retteten das produktive Überleben und den Namen der Firma Sauer. Gäbe es so was wie Urkunden und Preise für „Freunde der Orgel“, ein Rom- Stipendium, ein Paris- Stipendium, mindestens aber das Goldene Labium mit Stern und Brillianten: diesen Herren gebührten sie und ein starker Aplaus. Fürwahr!

II. Über die Feinde der Orgel.

Nicht über die üblichen Feinde der Orgel: Holzwurm, Zinnpest, Staub und Gebläseheizungen, sondern von drei Hauptfeinden ist hier zu sprechen:

  • Zu nächst von den selbsternannten Sozialaposteln.
  • Dann von mutierten Orgelexperten.
  • Und schließlich von den so genannten Star- Architekten

1. Sozialapostel sind gegen die Orgel aus karitativen Gründen. Sie verweisen auf sterbende Kinder in Afrika. Das ist als Argument ebenso todsicher wie schwachsinnig. Todsicher, weil jedes Gespräch erstirbt, wenn hungernde Kinder hochgehalten werden. Schwachsinnig, weil der Kampf gegen Hunger und Seuchen nicht durch mangelndes Geld behindert wird, sondern durch die schwer zu lösende Frage nach dem Transport von Hilfe und schließlich durch die noch schwerer zu lösende Frage nach der Verteilung von Hilfsmitteln direkt am Orte der Not. Wer auch nur einmal praktisch mit diesem Problem befasst war, wird sich nicht blenden lassen vom in der Regel hochmütigen Argumentieren der selbsternannten Sozialapostel. Ihre Methode ist einfach: dass Gegenüber soll durch vorgehaltenes Elend, gewissermaßen eine mentale Kalaschnikow, denkunfähig gemacht werden. Denn wer nicht mehr denkt, hat schon verloren. Aber Diakonie auszuspielen gegen Orgelkunst ist schlicht anmaßend und täuscherisch. Wer’s nicht glaubt, schlage nach beim heiligen Augustin: Auf drei Säulen ruht die Kirche (und wir können hinzusetzen: die Kultur und die Gesellschaft und die Menschenwürde) nämlich:   

       1. auf der Diakonia – dem Tun des Guten
       2. der Leiturgia – dem Tun des Schönen
und 3. der Martyria – dem Eintreten für das Wahre.

Seien wir getrost, der große jüdische Lehrer und Heiler Jeschua aus Galiläa, bei uns bekannt unter dem Namen Jesus von Nazareth, hat das auch gewusst und gesagt: „Arme habt ihr alle Zeit bei Euch“. Und wenn wir alle Orgeln der Welt abbrächen und verkauften und keine neuen mehr bauen würden und keine alten mehr reparierten, wäre die äußere Armut noch lange nicht besiegt, dafür aber die innere Armut größer und die Welt wesentlich grauer geworden.

2. Über die mutierten Orgelexperten.
Die Geschichte der Firma Sauer  kennt das Problem. Wilhelm Sauer war in der Hauptstadt Berlin zunächst nicht gelitten, und es war ein langer Marsch zur Riesen- Orgel Sauers im Berliner Dom. Warum? Darum, weil der preußische Ober – Orgelbaurevisor August Wilhelm Bach (1796-1869, kein Sohn des Thomas- Kantors) dafür sorgte, dass Sauer in Berlin zunächst nicht bauen konnte. Bachs Argumente waren – wie fast immer bei Experten – ideologischer Natur. Sauer hatte, wie erwähnt, bei Cavaillé- Coll in Paris gelernt, deswegen traf ihn der Vorwurf  der „Französelei“, und Frankreich war nun mal nach Meinung aller  Preußen „der altböse Feind im Westen“.
Von anderen Experten ist zu sprechen z. B. von dem Dichter Hans Henny Jahnn, der durch die verdienstvolle Entdeckung der Schnitger- Orgel in St. Jacobi Hamburg, sich einen Namen gemacht hatte und seit dem herum gereicht wurde; später aber zum Feind der Orgel mutierte, um schließlich in Düsseldorf einen heimtückischen Mord an der Königorgel von St. Maximilian zu begehen und sich auch noch damit brüstete, den größtmöglichen Profit aus der Reparatur bzw. der Ummodelung herauszuholen für sein eigentliches Anliegen, die Finanzierung seiner Glaubensgemeinde Ugrino, einem neue- heidnischen und pseudo- pythagoreisch orientierten Verein, dessen Credo die Lehre von der Harmonik des Hans Kayser war. Nachzulesen bei H. P. Reiners.
Der Organist der Orgel an St. Maximilian war der angesehene Clemens Ingenhoven, der sich noch auf dem Toten- Lager  unter Tränen der Wut an den „Professor aus Hamburg“ erinnerte und sich vor mir auch noch schämte, weil er als junger Mann es nicht vermocht hatte, gegen den importierten Experten anzukommen und die mechanische Traktur und die originalen Zungenstimmen des Christian Ludwig König von 1755 zu retten.
Von KMD Hans Hulverscheidt, dem Rheinischen Experten der Landeskirche wäre Haarsträubendes zu berichten, auch vom Kampf des Hauses Rieger (Glatter- Götz) in Österreich, gegen klerikale Holzköpfe in Wien. Und von dem Pfarrer Ernst Karl Rößler, der meinte, etwas von Mensuren zu verstehen und schließlich über seinen Hang zu Akt Fotografie stolperte und wenig standesgemäß endete.
Auch vom Experten Dr. Walter Supper aus Esslingen gilt, dass er gut begann und anfechtbar endete. Bei ihm ging der Weg zu einer neuen Orgel all zu oft über einen von ihm gezeichneten Prospekt, denn Supper war von Hause aus Architekt und hatte als solcher die NSDAP- Riesenorgel in der Fahnenhalle zu Nürnberg gezeichnet.
Womit wir schon

3. bei den selbsternannten Star- Architekten sind.
Es gibt eine genetisch bedingte Feindschaft zwischen Orgelbauer und Architekten. Letztere hantieren primär mit totem Material: Beton, Stahl, Kunststoffen und Glas. Orgelbauer dagegen brauchen lebendiges Material: biegsames Metall, Leder, Filz, Knochen und vor allem Holz. Die ganz konsequenten Orgelbauer, wie der jüngst verstorbene Jacob Schmidt bei seinem Schwanengesang in Memmingen, machen sogar ihre eigenen Emporen, und diese aus Holz, denn die Empore ist der Resonanzboden der Orgel.
Als Düsseldorf eine neue Tonhalle bekam, hatte das Büro Hentrich und Petschigg die Federführung. Die Orgel sollte in ein Beton- Loch von ca 5 m³ gesetzt werden und aus Gründen des Designs dunkle Pfeifen haben, schon gar nicht aus glänzendem Zinn, um nicht „raumdominant“ zu sein. Eine Orgel ja schon, aber doch bitte nicht so sichtbar.
Als die Neanderkirche 1965 meine Orgel bekam, hatte Jacob Schmidt
– damals noch bei Rieger-, vergoldete Schleierbretter vorgesehen. Der bei der Gemeinde akkreditierte Architekt Dilke aber, ein Schüler des Berliner Meisters Eiermann (bekannt als Architekt der Kaiser- Wilhelm- Gedächtniskirche) verhinderte diese mit der Begründung: „wir leben in einem a – ornamentalen Zeitalter“. Wie falsch lag doch Dilke: Heinz Mack und seine Freunde von Zero und auch Ive Klein hatten längst die Farbe und das Licht wiederentdeckt.
Die negativen Beispiele aus dem Rheinland sind vielleicht deshalb so zahlreich, weil hier viel gebaut wurde. Die Firma Klais musste sich vor einem so genannten Star – Architekten beugen, selbst die Firma Marcussen jüngst im Dom zu Wesel tätig, wurde gezwungen eine teure aber sinnlose Prospektgestaltung zu akzeptieren: Das Schwellwerk thront als schlecht rasierte Glatze über dem Hauptwerk. Nach Anweisung des Architekten sollen die Jalousien aber nicht betätigt werden, dieses störe das Gesamtkunstwerk des Entwurfs. Wer es wissen will: der Architekt heißt Ralf Schweitzer und wohnt in Bonn.
Natürlich sind nicht alle Architekten per se von oben herab und unterbelichtet in Sachen Orgel; aber man liegt nicht falsch wenn man weiß: je berühmter ein Architekt, umso gefährlicher ist er, umso mehr ein Feind der Orgel. Darum meine Parole:

Orgelbauer aller Länder, vereinigt euch, brecht das angemaßte Monopol der selbsternannten Star- Architekten.

Arp Schnitger hatte Schnitzer für seine Prospekte beschäftigt und Vergolder, aber das Gehäuse hat er selbst gezeichnet. Bei Silbermann war das nicht anders. Ein guter Orgelbauer sollte auch der Schöpfer seines Prospektes sein, es sei denn, er baut in ein historisches Gehäuse, wie Sauer damals in Königsberg hinter den wunderbaren- Barock- Prospekt des ostpreußischen Meisters Josua Mosengel.

Schließlich  III. Über die Würde und Schönheit der Orgel.

Die Orgel ist das größte natürliche Musikinstrument. Ihre Reichweite ist extrem. Die Frequenzen des 32′ unterschreiten nach unten und die des 1′ überschreiten nach oben auch das größte Sinfonieorchester.
Die Gehäuse der großen Orgeln reichen bis in höchste Gewölbe, so in St. Bavo in Haarlem und St. Jan in S’Hertogenbosch, nehmen riesige Breiten ein, wie die Orgel im Dom zu Merseburg und wie die Sauer-Orgel, damals 1913 in der Jahrhunderthalle in Breslau.
So waren Orgeln schon früh z. B. in Wincester um 950 dazu angetan, die Hörer in Staunen und Ehrfurcht zu versetzen. Wen wundert es da, dass in der arabischen Kriegstechnik des 13. Jh. fahrbare Orgeln als psychologische Kampfmittel eingesetzt wurden, wie später die Stukas mit ihren fliegenden Sirenen im 2. Weltkrieg.
Gottlob starben die rollenden Kampf- Orgeln der Heere Mohammeds bald aus, weil zu anfällig und zu teuer zu reparieren.
Geblieben aber ist dies:
Der Klang der Orgel ist- wie der Klang der Glocken- mehr, als nur ein akustisches Ereignis. Der Klang und die Gestalt der Orgel weisen über sich hinaus. Ganz unverblümt sagen zahllose Prospekte des Barock, große und ganz kleine wie in Heilsberg (Ostpreuß.), was sie sind:
Stimme Gottes. Sie sagen es durch die wichtigste Umschreibung, des Gottesnamens in der hebräischen Bibel, durch die vier Buchstaben: Jud, He, Waf, He.  ( י ה ו ה )

Und wo nicht so unübersehbar der göttliche Bezug demonstriert wird, treten eine Reihe von Symbolen und Figuren auf, die dasselbe signalisieren: Hier ist eine Stimme Gottes. Allen voran König David, der für die 150 Psalmen der hebräischen Bibel steht, deren letzter, der 150. ausdrücklich die Ugaw bzw. die Magrepha – in der Septuaginta steht das Wort Organon – erwähnt, also eine Orgel auf dem Tempelberg in Jerusalem! „Hallelu-hu be menim we ugaw“ (Psalm 150 Vers 4).
Aber auch die anderen Bilder meinen dasselbe:
Adler, Sonne, Sterne, Engel. Und das alles in Gold und Silber und in allen Farben des Regenbogens.
Die Sonne steht für Gott, gemäß Psalm 84, 12.

Im originalen Text heißt es:

„ki    schämesch    u       magen      Adonai    älohim
Denn  Sonne       und      Schild        der Ewige         Gott

Chen      we       kawod      jitten       Adonai.
Gnade     und       Ehre          gibt          der Ewige

Lo       jimena        tow          lahol’kim          betamim.
Nicht   versagt er    Gutes den Gehenden    in Unbescholtenheit.

Luther übersetzt und Bach hat es im Eingangschor der Kantate 97 so komponiert:
„Gott der Herr ist Sonn‘ und Schild, der Herr gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen“. 
Nun noch der Adler: Zumeist oben über platziert, kommt ihm eine besondere Rolle zu. Er ist kein römischer, kein österreichischer, kein polnischer, kein preußischer Adler, sondern er ist der Adler des Bundes am Berge Sinai, wo Gott dem geretteten Volk Israel (Exodus 19, v.4) zuruft „Ihr habt gesehen, wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und habe Euch zu mir gebracht“. Gott als Adler über der Orgel. Deutlicher kann man es kaum zeigen. Freilich muss man die Geschichten der Bibel kennen. Ohne die lassen sich die prächtigen Prospekte, die uns heute noch so faszinieren, nicht wirklich verstehen. Die gewaltigen goldenen Strahlen der Engler-Orgel in Brieg und die Sonnen aus Pfeifen an der Sonnenorgel in Görlitz entspringen nicht ungezügelter Fantasie und Prunksucht – wie Friedrich II beim Anblick der Orgel von Brieg tadelnd bemerkt haben soll – sondern sie entstammen dem Wunsch, die göttliche Stimme auch optisch möglichst würdig und schön darzustellen.
Schon der stumme Prospekt spricht und klingt. Ich denke, es macht die Würde und Schönheit der Orgel aus, dass sie für eine Stimme Gottes unter uns steht.
Und auch nach der Aufklärung und nach den Höllen der Weltkriege ist dieser Zauber und diese Faszination nicht ausgelöscht.
Auch die, welche die biblischen Bilder nicht mehr lesen können, spüren unwillkürlich etwas von dem „mehr“, das über der Orgel, diesem Riesenmöbel bzw. dieser großen Plastik waltet. Darum gehört das gestaltete Gehäuse zum Wesen der Orgel. Prospektlose Orgeln sind nicht nur schlecht geschützte Bauten, sondern vor allem spirituelle Null- Lösungen. Schauen wir uns die Neubauten  heute auch einmal auf ihre Figuren und Symbole an. Da wird man etwas über Programm und Motivation der Erbauer erfahren!
Zum Beispiel die „Europa-Orgel Felix Mendelssohn“ von der Firma Sauer 2004 in Düsseldorf-Oberkassel gebaut, sie verwendet einmal das klassische Emblem des Sterns (Zimbelstern für den Stern von Bethlehem), dazu aber kreist über der Orgel ein Kranz von 12 Sternen. Die Europa- Sterne, die ein friedliches Miteinander bedeuten, vielleicht sogar die weitergehende Bitte um „Friede auf Erden“ aussprechen. Diese Europa- Orgel der Firma Sauer gehört nicht nur zu den besten Neubauten der letzten Jahre im Rheinland, sondern zu den bemerkenswerten und wegweisenden Instrumenten Europas, sowohl der technischen und klanglichen Disposition, als auch der Intonation und der optischen Gestaltung nach.
Das einzige, was die Planer der „Europa-Orgel Felix Mendelssohn“
in der Auferstehungskirche in Düsseldorf nicht im Blick hatten, war erstens ein Fernwerk, wie heute noch an der Sauer Orgel in der Erlöserkirche in Bad Homburg vor der Höhe zu bewundern und (von dem jetzt ganz vorsichtig geträumt wird) und zum andern ihre autonome Windversorgung.
Und wenn ich noch einmal zu einer Bewegung aufrufen dürfte, würde ich sagen:

Orgelbauer, Orgelplaner und Bauherren aller Länder,
gebt jeder Orgel ihre eigene Windversorgung!

Nicht nur, um im Ernstfall von E. On und Gasprom unabhängig zu sein, sondern von allem, weil die Orgel ein Musikinstrument ist, wie eine Flöte, eine Harfe, ein Klavier, ein Cello oder ein Saxophon, nur eben größer und vielfältiger, komplexer und kein elektrisches und digitalisiertes Monstrum. Und sie sollte nicht zur Stummheit verdammt sein, wenn irgendein korrupter Autokrat oder eine andere Katastrophe die Stromversorgung unterbrechen sollte.

Ich komme zur Coda!
Den Älteren unter uns hat das feinsinnige Poem „Orgelspiel“ von Hermann Hesse viel bedeutet. In der Summe ist es aber eine Stimme aus vergangener Zeit. Näher steht mir Reiner Kunze mit seinem Text, „Orgelkonzert“, geschrieben lange vor der Wende. Das dort gesprochene scheint mir immer noch gut und gültig. Es heißt da:
„Alle Orgeln, sie alle müssten plötzlich zu tönen beginnen und die Lügen, von denen die Luft so gesättigt ist, dass der um Ehrlichkeit bemühte kaum noch atmen kann, hinwegfegen- unter wessen Dach hervor auch immer, hinweg dröhnen all den Terror im Geiste. Wenigstens ein einziges Mal, wenigstens für einen Mittwochabend“.
Ich denke, Wilhelm Sauer sel. Angedenkens und vor 150 Jahren mit seinem frommen und praktischen Spruch am Start, hätte zugestimmt und seine Freude an Reiner Kunze gehabt.
Allen Orgelfreunden und allen Orgelfeinden und allen bestehenden und allen noch kommenden Orgeln im Land wünsche ich zu guter Letzt, dass das Haus Sauer und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch lange leben und wirken sollen, noch lange:   

Gott loben,
Ihn walten lassen d. h. Ihm alles Gute zutrauen.
Noch viele neue Orgeln bauen
und noch viele alte reparieren.
In Respekt vor dem Firmengründer,
und zur Freude allen Menschen guten Willens,
und zur Vermehrung von Menschenwürde und Schönheit unter uns.

 

(35 Worte Sauer + 115 Worte Orgel = Zusammen 150 Jahre Sauer-Orgel.)

KMD Prof. Oskar Gottlieb Blarr

  • Geboren 1934 in Bartenstein, Ostpreußen
  • 1945 Flucht nach Niedersachsen
  • Studium Kirchenmusik und Schlagzeug in Hannover
  • 1961 nach Düsseldorf an die Neanderkirche
  • Kompositionsschüler von B. A. Zimmermann und K. Penderecki
  • 1981 Sabbatical in Jerusalem´
  • 1982 – 1999 an der Robert Schumann Musik Hochschule in Düsseldorf
    Klasse für Instrumentation
  • 1994 Rom – Stipendium
  • Deutscher Schallplattenpreis für „Bartok auf die Orgel“
    und „Orgellandschaft Ostpreußen“
  • Orgeltranskriptionen u. a. „Bilder einer Ausstellung“
  • Mehrfache Zusammenarbeit mit Olivier Messiaen

Hauptwerke:

  • 3 Oratorien (Jesus-Passion, Jesus-Geburt, Osteroratorium)
  • 3 Sinfonien
  • Oper „Josef Süßkind Oppenheimer – Jud Süß“
  • Orchesterkonzert, Konzert für zwei Klaviere
  • Orgelkonzert mit Männerchor und Orchester (Psalm 150)
  • Psalmkonzert „Salut für Doktor Martinus“
  • 10 geistliche Kantaten
  • Umfangreiches Orgelwerk
  • Zuletzt erschien die Orgelsinfonie „Der Lobende“,
    eingespielt von Martin Schmeding an der „Europa-Orgel Felix Mendelssohn“
    erbaut 2004 durch W. Sauer Orgelbau  GmbH Frankfurt/Oder.
  • Am 11. Oktober wird das neue Orgelwerk „Der Bach- Pokal“ an der Hildebrandt-Orgel in Naumburg durch Prof. Wolfgang Baumgratz uraufgeführt.